Musicwatch: Arcade Fire

lola
|
music
Das Warten hat ein Ende - Das Album "Reflektor" ist draußen.
©Guy Aroch

Arcade Fire melden sich drei Jahre nach ihrem letzten Album endlich zurück: "Reflektor" heißt der neue, 13 Songs umfassende Longplayer. Um diesen wurde im Vorfeld viel Trara gemacht, da sich die Band lange verdeckt hielt und nur hier und da spärliche Informationen verriet. Auf das im Juli bekannt gegebene Releasedatum folgte hier der Albumtitel und dort der Name eines Songs. Viel war da allerdings nicht herauszulesen.

 

Bis die Band dann vor einem Monat den Kurzfilm "Here Comes The Night Time" veröffentlichte, einen knapp zwanzigminütigen Mitschnitt eines Geheimkonzertes am 9. September diesen Jahres, das sie unter dem Namen "The Reflektors" in Downton Montreal, ihrem Heimatort, veranstaltet haben. Natürlich dauerte es nicht lang, bis eigentlich allen klar war, dass es sich nur um einen Auftritt der Kanadier handeln musste. Die Bedingung, um reinzukommen: neun Dollar Eintritt und Dresscode - je nach Fason kostümiert oder in Abendgarderobe. Diese Kleiderordnung gibt es dann auch im Film zu sehen, in dem nicht nur drei neue Songs auftauchen, sondern auch diverse Stargäste wie James Franco, Ben Stiller, Bono, Jason Schwartzman, Rainn Wilson und der großartige Michael Cera. Das Ergebnis: ein energiegeladener und bildgewaltiger Teaser für das neue Album, das ab dem Erscheinen des Films nur noch gespannter erwartet wurde. 

 

 

Auch bei der Veröffentlichung des Albums selbst hat die Band auf Kreativität und Unkonventionalität gesetzt. Am Vorabend des offiziellen Releases ist ein weiterer Film auf YouTube veröffentlicht worden, über den man das komplette neue Album streamen konnte. Die bunten Bewegtbilder stammen vom Film Black Orpheus (auch "Afterlife" genannt) , der die Geschichte von Orpheus und Eurydike nacherzählt, mit der sich auch die Platte von Arcade Fire befasst. Zur Erinnerung: Die Sage handelt von dem Griechen Orpheus, der in die Unterwelt hinabsteigt, um den Gott der Unterwelt, Hades, dazu zu bewegen, Orpheus' kürzlich verschiedene Ehefrau Eurydike freizugeben. Dies gelingt ihm unter der Bedingung, sich beim Aufstieg auf die Erde nicht nach der hinter ihm gehenden Geliebte umzudrehen. Da er ihre Schritte allerdings nicht hört, wendet er sich um und damit ist Eurydike für immer verloren. Die Geschichte wurde von verschiedenen Filmen immer wieder aufgegriffen, u.a. auch in "Vom Suchen und Finden der Liebe" mit Moritz Bleibtreu und Alexandra Maria Lara. 

 

Der Film, nach eigenen Angaben einer der Lieblingsfilme von Bandkopf Win Butler, diente nicht nur als Inspirationsquelle, sondern ebenso als Namensgeber für den vorletzten Song der Platte. Für den Albumstream wurden einzelne Sequenzen passend auf die Songs abgestimmt geschnitten und mit Lyrics versehen. Doch warum dieses Tamtam um den Release eines Albums? In einem der wenigen Interviews erklärte Will Butler, der Bruder von Sänger Win Butler, folgendermaßen: »Das Bewerben neuer Alben ist oft so langweilig. So formatiert. Wir waren immer neidisch auf die Möglichkeiten, die man zum Beispiel im Filmgeschäft hat. Da kannst du erst ein Poster rausbringen, dann ein virales Video, dann einen Teaser, dann einen Trailer, dann noch einen Trailer. Das macht doch viel mehr Spaß! Man könnte also sagen: Unsere Aktionen sind der Versuch, unsere eigenen Trailer zu machen.« Inzwischen ist der epische Film allerdings wieder auf "Privat" gestellt, schade drum. Als mich die Nachricht gegen 21 Uhr MEZ am letzten Donnerstag erreichte, ging es mir zumindest wie dem Großteil der Interessierten: Ich brachte meine Arbeit am Laptop zu Ende, schloss diverse Tabs und verbrachte den Rest des Abends damit, Musik und Film aufzusaugen. Nachdem ich mir die Vinyl für Freitag/Samstag kurzerhand nach Hause geordert hatte, versteht sich. 

 

 

Das Album umfasst beinahe eineinhalb Stunden Musik, die den Hörer durch eine Reise verschiedener kleiner Geschichten und musikalischer Stilmittel führt. Klassische Streicher und Gitarren finden sich auf der Platte ebenso wie atmosphärische Synthesizer und karibische Percussions. Es scheint, als würde man ebenso wie Orpheus eine lange Reise mit ungewissem Ausgang unternehmen: einige Songs sind typisch Arcade Fire, bei einigen ist aber auch der Einfluss ihrer Zeit in Haiti deutlich herauszuhören, an anderen Stellen klingt das Zusammenwirken nachdrücklicher Gitarrenriffs, Drums und kirchenähnlich jubelnder Vocals gar wie die späten Beatles. Bei den karibisch angehauchten Tönen kamen mir als Allererstes tatsächlich Guybrush Threepwood, ein dreiköpfiger Affe und Piratenschiffe in den Sinn; im zweiten Zug dann wieder die indisch beeinflussten, mit der Sitar begleiteten Songs der Beatles.

 

Bereits der erste Song "Reflektor" entführt mit dem Mix aus Synthesizern, Drums und Bongos auf eine Expedition in unbekannte Kulturen. Möchte man das Album tatsächlich ebenfalls mit der griechischen Sage verbinden, so macht sich auch Orpheus auf den Weg in die Welt der Toten als nicht irdische Parallelwelt. Er beschreibt den Übergang als spiegelnde, opalisierende Scheidewand, die ihn und seine Geliebte trennen: "I thought I found a way to enter; it was just a reflector. I thought I found the connector; it was just a reflector. Just a reflector." Der Metapher gilt ebenso als unsichtbare Verbindung zwischen den Liebenden, die eins sind, eine Reflexion des anderen. In den weiteren Tracks kommen sowohl inhaltliche Flashbacks, Gedankenströme, als auch traumähnliche Sequenzen vor. Arcade Fire gehen dennoch Schritt für Schritt immer weiter in der Geschichte vor, vom Aufstieg zurück ("Hey, Orpheus! I'm behind you. Don't turn around. I can find you. Just wait until it's over, wait until it's through.") über den Moment, da Eurydike verloren ist, bis hin zum Leben nach dem Tod der Liebe: "Oh, it was just a glimpse of you, like looking through a window or a shallow sea. Could you see me? And after all this time, it's like nohing else we used to know." So wie es eigentlich immer bei Arcade Fire ist, verliert sich die Platte von Song zu Song immer mehr in langsam temporierteren, Jam-Session-ähnlichen Parts, die dieses Mal recht psychedelisch daherkommen, ehe das Album in euphorisch-resigniert-versöhnlich in den Textzeilen "It's been a while since I've been to see you. Don't know where, but you're not with me. Heard a voice like an echo, but it came from me... Supersymmetry" endet.

 

Ein Konzeptalbum, das Züge von großartigen Pionieralben aus den 60er und 70er Jahren annimmt, wie z.B. Emerson, Lake & Palmers "Tarkus" oder aber Rick Wakemans "The Six Wives Of Henry VIII" oder "Journey To The Centre Of The Earth". Mit diesen Vertretern kann es sich getrost in eine Reihe stellen. Ich persönlich kann euch also nur ans Herz legen, in "Reflektor" hineinzuhören. Ein ganz großes Werk, das der Bezeichung "Epos" gerecht wird. 

 

 

    AUTHOR:
    LOLA

    Modemädchen durch und durch.

    Minimal Chic und New Sports ist ihr Metier, über Normcore und andere Phänomene der Mode kann sie nickend Romane erzählen und trotz Totalausfall beim Anblick der neuesten Laufstegbilder und Lookbooks ist die Dame nicht auf das Köpfchen gefallen. Lola liebt Kopenhagen und Kafka, hat eine Schwäche für Männermode und Musikhits, ist aber auch für Kunst und Kitsch zu haben.