Das Wort zum Sonntag #1

andi
|
gossip
Freundschaft, die. Substantiv, feminin.
© Johanna Lamprecht

Während ich mir vorstelle, wer in diesem Augenblick sonst noch auf die Idee käme, ein Wort von solch kompromissloser Selbstverständlichkeit im Duden nachzuschlagen, bleibt mein Blick auch schon in der nächsten Zeile hängen. Häu-fig-keit. An dieser Stelle hat die lexikalische Obrigkeit die Freundschaft gestaffelt und quantifiziert, wie's die Buben schon beim Heer gelernt haben. Häufigkeit: 3 von 5. Demnach bettet sich die Freundschaft – statistisch gesehen - qualitativ und quantitativ im selben Lager wie das Wörtchen Krise. Zufall oder eisgekühltes Kalkül? Ich verschone die Leser und Innen an dieser Stelle mit etymologischen Verschwörungstheorien und komme gleich zur Auslegung der anhaftenden Eigenschaften dieser Mätresse, die da Freundschaft heißt. „Was gibt’s da schon großartig auszulegen!“, werden nun die einen plärren, „Freundschaft ist Freundschaft, das versteht sich wohl von selbst!“, die anderen. Aber bei einer Sprachhäufigkeit von 3 von 5 oder 0,6 in Dezimal ist Nachholbedarf durchaus wünschenswert – schließlich ist Sprache der Link zum Menschsein. Manifestiert wird das, was für den Menschen an sich momentan Geltung hat. An dieser Stelle verweise ich immer gerne auf das Wörtchen Ich. Volle Punktezahl, Jackpot. Möge man sich selbst ein Urteil zusammenreimen.

Wo war ich, ähm, wir stehengeblieben? Ach ja, Freundschaft per definitionem.
Hier steht a) auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander und b) (DDR) Gruß der Freien Deutschen Jugend. Die Freie Deutsche Jugend wurde 1951 wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten, was die Verbuchung auf der Freundschaftsseite nicht unbedingt erleichtert hat. Und gegenseitige Zuneigung ist sowieso ein sehr dehnbarer Begriff.


Damals, als das Leben noch in Ordnung war, der Mensch im Gleichgewicht mit sich selbst stand und noch nicht für Eislutscher auf die Straßen gehen musste, um eine entgleiste Gesellschaft wieder ins Lot zu bringen, war das Leben noch einfach. Buben waren Buben, Mädchen waren Buben mit Kleidern und Hang zur Theatralik. Freundschaften waren unisex. Ein paar Jahre später kam auch schon die Wende; Buben waren zwar immer noch Buben aber Mädchen wurden, nun ja, zu Mädchen.
Um sich in meine im Folgenden geschilderte Situation besser hinein empfinden zu können, bedarf es eines kleinen Details, das nicht ausgespart werden darf; Ich war ein fettes Kind. Trotzdem habe ich mich mit dem anderen Geschlecht immer ausgezeichnet verstanden. Schnell sollte ich erkennen, dass ich einem Phänomen anheim gefallen bin, das heutige Generationen unter der Anglizisme Friendzone kennen. Damals gab es noch keinen Namen dafür bzw. habe ich mich wohl stillschweigend damit abgefunden. Heute habe ich mich unlängst aus dem selbstverschuldeten Wiener-Schnitzel-Tief gezogen, die Frage nach dem Geltungsanspruch einer Friendzone-Friendship stellt sich jedoch immer noch. Das Wort „Friend“ scheint zweifellos Freundschaft zu suggerieren und man kann weiters behaupten, dass ein „auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis“ durchaus vorliegt. Warum sollte man auch mit jemandem Zeit verbringen wollen, der einem am Oasch geht, um es umgangssprachlich auszudrücken. Trotzdem. Ob Freundschaft aus unerwiderter Liebe gedeihen kann, bleibt bis auf Widerruf fraglich. Wie viel Ungleichgewicht kann eine auf Freundschaft geeichte Waage aushalten, ehe sie in sich zusammenbricht?


Seinerzeit hatte ich auch einen besten Freund, keine Ahnung, ob ich auch sein bester Freund war, jedenfalls war er mein bester Freund. Er war einer dieser Freunde, mit denen man Dinge das erste Mal erlebt; das erste zerbrochene Fenster, die erste Rauferei, das erste Mal (wirklich beschissenes) Gras geraucht. Gemeinsam durch das Dick-und-Dünn-Dickicht stapfen und sich das erste Mal richtig erwachsen fühlen. Ohne pathetisch klingen zu wollen, aber es gibt Freundschaften, die pflastern deinen zukünftigen Lebensweg. Wenn ich mich heute an jenen Tag im April zurückerinnere, an dem seine Beerdigung war, kommt es mir vor wie die Traumsequenz in einem Film; so, als wäre ich nicht unmittelbar anwesend gewesen. 

Supertotale; Wetter wie vor zwanzig Jahren. Menschen bilden eine Traube, noch ist es nicht möglich irgendjemanden zu identifizieren. Dunkles Grün und reiche Floristik dominieren das Setting. 

Halbtotale; Den Großteil der Anwesenden habe ich schon einmal gesehen, einige kenne ich persönlich. Buben mit glasigem Blick finden sich ein, neben Mädchen mit roten, feuchten Wangen. Die Erwachsenen sehen zum Teil gefasst, zum Teil apathisch aus.

Medium Close-up; Die Anwesenden stehen in Reih und Glied. Auf Spatenstich folgt  Spatenstich. Ein Unbekannter reicht mir die Schaufel. Schnitt.
Die schlimmsten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst.

 

P.S.: Hat sich eigentlich schon einmal irgendeine Studie mit der Frage auseinander gesetzt, wie viele richtig beste Freunde sich innerhalb der Lebensspanne eines Durchschnittsverbrauchers anhäufen? Und wenn ich beste Freunde sage, dann meine ich das volle Programm; BFF, Seelenverwandter, Paris/Nicole-Konglomerate und was-weiß-ich-nicht-alles. Denn genau solche Beziehungen führen dem Verbraucher gern vor Augen, was er wahrscheinlich am besten kann – nämlich verbrauchen.